Wann kann ich Schmerzensgeld beanspruchen?
Wenn ein Mensch verletzt wurde, kommt gemäß § 253 II BGB außerdem ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegen den Unfallverursacher in Betracht. Voraussetzung ist eine Verletzung des Körpers oder der Gesundheit, die über eine gewisse Bagatellgrenze hinausgeht. Eine kleine Schramme, die ohne Narbenbildung von selbst abheilt, berechtigt noch nicht zum Schmerzensgeld. Weiterhin muss die Verletzung kausal auf das Verhalten des Schädigers zurückzuführen sein, der schuldhaft, mindestens fahrlässig gehandelt hat.
Wann verjährt ein Anspruch auf Schmerzensgeld?
Die Verjährung beträgt nach § 195 BGB drei Jahre. Die Frist endet mit Ablauf des dritten Jahres nach dem schädigenden Ereignis beziehungsweise des Jahres, in dem der Verletzte Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erhalten hat.
Beispiel: Sie haben bei einem Auffahrunfall am 12.09.2019 eine Schulterprellung erlitten, die Sie sofort bemerkt haben. Die Verjährungsfrist endet am 31.12.2022.
Wie hoch ist ein angemessenes Schmerzensgeld?
Die Gerichte verwenden als ersten Einstieg zur Berechnung gern Schmerzensgeldtabellen, die bereits entschiedene Fälle auflisten, zum Beispiel die Beck’sche Schmerzensgeldtabelle oder die Übersicht von Hacks/Wellner/Häcker. Da aber stets zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen sind, die in Vergleichsfällen mehr oder weniger voneinander abweichen, können Vergleiche nur eine Argumentationsbasis liefern.
Bei der Schmerzensgeldberechnung eröffnet sich ein enormer Spielraum, den ein geschulter Verkehrsrechtsanwalt zu Ihren Gunsten ausschöpfen kann. Zu berücksichtigen sind vor allem die Art und Schwere der Verletzungen, das Ausmaß des Verschuldens, die Dauer der Behandlung sowie eventuelle bleibende Schäden. Erhöhend kann sich zudem eine bewusste Verzögerung durch die gegnerische Versicherung auswirken.
Ein wichtiger Faktor ist aber auch ein eventuelles Mitverschulden des Verletzen. Hat sich der Geschädigte grob sorgfaltswidrig verhalten und dadurch den Unfall ganz überwiegend selbst verschuldet, kann sich sein Anspruch sogar auf Null reduzieren.
Beispiel 1:
• Das OLG Oldenburg (Urteil vom 19.06.2014 zu Az.: 1 U 113/13) entschied über die Schmerzensgeldklage eines Autofahrers, der an einem unbeschrankten, mit einem Andreaskreuz gekennzeichneten Bahnübergang mit einem Zug kollidiert war. Das Gericht stellte zwar fest, dass die Zugbetreiberin grundsätzlich eine Gefährdungshaftung trifft, lastete dem Zugführer jedoch kein Verschulden an, da dieser die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hatte. Der Autofahrer, der den Bahnübergang kannte und das Pfeifen des sich nähernden Zuges hören konnte, habe unter grober Verletzung der Vorfahrt den Bahnübergang befahren. Im Ergebnis lehnte das Gericht einen Schmerzensgeldanspruch daher ab. Wer nur kleinere Pflichtverstöße begeht, sich zum Beispiel nicht angeschnallt hat, riskiert zwar nicht den kompletten Verlust seines Anspruchs, aber muss mit einer deutlichen Minderung des Betrages rechnen.
Beispiel 2:
• Ein bei einem Unfall schuldlos Verletzter erlitt mehrere leichte Prellungen, die er mit einem gängigen Schmerzmittel behandelte. Er war nach zwei Wochen wieder beschwerdefrei. Das OLG München billigte ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 250 Euro zu (Urteil v. 08.07.2016 – 10 U 3138/15).
Beispiel 3:
• Eine 20-jährige Autofahrerin musste aufgrund einer Panne am Fahrbahnrand halten. Der volltrunkene Schädiger fuhr mit seinem Pkw ungebremst auf. Die Frau erlitt zahlreiche Frakturen, die mehrfach operiert werden mussten, und leidet unter andauernden Beeinträchtigungen. Das LG Zweibrücken erkannte auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 Euro, wobei es nicht nur die Schwere der Verletzungen und den Behandlungsumfang berücksichtigte, sondern auch die Trunkenheit des Schädigers erhöhend wertete (Urteil vom 20.02.2015 zu Az.: 2 O 120/08).
Beispiel 4:
• Ein 33-Jähriger erlitt bei einem Motorradunfall eine Querschnittslähmung, die auch das Atemzentrum betraf. Obwohl das Gericht ein Mitverschulden des Geschädigten von 30 % berücksichtigte, sprach es ein Schmerzensgeld von 140.000 Euro sowie eine monatliche Geldrente in Höhe von 140 Euro zu (OLG Celle, Urteil vom 09. 05.2012 zu Az.: 14 U 179/11).
Beispiel 5:
• Ein 11-jähriges Mädchen wurde im Bereich einer U-Bahn-Station von einer Bahn erfasst. Dabei geriet ihr rechtes Bein in den Radlauf. Das Bein musste auf Hüfthöhe amputiert werden. Das OLG Düsseldorf hielt einen Betrag von 220.000 Euro für angemessen, den es wegen eines Mitverschuldens des Mädchens jedoch auf 140.000 Euro herabsetzte (Urteil vom 30.08.2013 zu Az.: 1 U 68/12).
Beispiel 6:
• Ein 38-jähriger Beifahrer stieg nach einem leichten Auffahrunfall auf der Autobahn aus dem Fahrzeug aus. Ein sich mit mindestens 145 km/h von hinten näherndes Fahrzeug verursachte einen weiteren Auffahrunfall. Der 38-jährige wurde zwischen zwei Fahrzeugen eingequetscht. Er erlitt ein Polytrauma mit Multiorganversagen. Zwar konnte sein Leben gerettet werden, dennoch bleibt er, trotz vielfacher Operationen, zu 100 % schwerbehindert und erwerbsunfähig. Auch wenn das OLG Karlsruhe dem Mann ein Mitverschulden von 20 % anlastete, da er verbotswidrig als Fußgänger die Autobahn betreten hatte, billigte es ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von 320.000 Euro zu (Urteil vom 24. 06.2013 zu Az.: 1 U 136/12).
Welche Kosten können noch geltend gemacht werden?
Wurde ein Mensch bei einem Unfall verletzt oder getötet, kommen neben dem Schmerzensgeld als weitere Schadenersatzpositionen die Kosten der Heilbehandlung, die Kompensation des sogenannte Haushaltsführungsschaden, Fahrtkosten, gegebenenfalls die Kompensation der Erwerbs- und Unterhaltsschäden oder die der Beerdigungskosten, des sogenannten Schockschadens und Hinterbliebenengeld in Betracht.
Die Heilbehandlungskosten
Zu den ersatzfähigen Heilbehandlungskosten zählen alle aus medizinischer Sicht notwendigen Kosten für stationäre und ambulante Therapien sowie Medikamente und Rehabilitationsmaßnahmen. Der Patient ist im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht gehalten, sich für wirtschaftlich vernünftige Behandlungen zu entscheiden, daher werden grundsätzlich nur Leistungen im Rahmen des Katalogs der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung erstattet.
Kosmetische Eingriffe können in Einzelfällen aus fachlicher Sicht geboten sein. Als Patient haben Sie bestimme Mitwirkungspflichten zu erfüllen. So müssen Sie die behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinden und dürfen Ihren Heilungserfolg nicht gefährden, indem Sie medizinischen Anweisungen zuwiderhandeln. Eine fiktive Abrechnung von Heilbehandlungskosten ist grundsätzlich nicht möglich, vielmehr muss sich der Geschädigte bei medizinischer Indikation behandeln lassen und die tatsächlich angefallenen Kosten in Ansatz bringen. Nur ausnahmsweise darf ein Patient auf eine rein kosmetische Maßnahme verzichten. Die bleibende Einbuße durch eine optische Entstellung kann dann im Rahmen des Anspruchs auf Schmerzensgeld berücksichtigt werden.
Schaden für die Haushaltsführung
Kann der Verletzte aufgrund seiner Beeinträchtigung seinen Haushalt nicht mehr oder nicht in vollem Umfang selbst führen, besteht ein Anspruch auf Ersatz und zwar unabhängig davon, ob er sich eine Haushaltshilfe nimmt oder Partner, Kinder oder andere Angehörige ihn versorgen. Bei der Einstellung einer Haushaltshilfe umfasst der erstattungsfähige Betrag deren Bruttolohn sowie die Beiträge zur Sozialversicherung, die der Arbeitgeber tragen muss.
Werden Haushaltstätigkeiten von anderen Personen übernommen, wird der Schaden fiktiv nach der erforderlichen Stundenzahl und dem angemessenen Stundenlohn berechnet. Wenn eine Haushaltshilfe die Hausarbeit zum Teil erledigt, kommt neben der Erstattung ihres Lohnes auch darüber hinaus gehender fiktiver Schaden in Betracht, wenn Dritte die übrigen Arbeiten verrichten.
Selbst wenn der Verletzte keine Hilfe in Anspruch nimmt und sich entweder mit liegen bleibender Hausarbeit arrangiert oder besondere Anstrengungen unternimmt, um dennoch allein zurechtzukommen, steht ihm der Anspruch auf fiktive Kostenerstattung zu. Voraussetzung ist aber, dass dem Betroffenen tatsächlich ein Nachteil entsteht. Hält er sich zum Beispiel stationär im Krankenhaus auf und fallen Haushaltsposten wie Abwasch und Schmutzwäsche deshalb nicht an, besteht auch der Anspruch nicht.
Fahrtkosten
Wird ein Verletzter nach einem Unfall ärztlich behandelt, gehören die Fahrtkosten für ihn und seine Angehörigen zum Krankenhaus oder zur Arztpraxis zum erstattungsfähigen Schaden. Weiterhin können Fahrtkosten zum Anwalt und zur Werkstatt geltend gemacht werden, in der das beschädigte Fahrzeug repariert wird.
Nach einem Totalschaden umfasst der Schadenersatzanspruch grundsätzlich auch die Kosten für Besichtigungsfahrten, die der Geschädigte für den Kauf eines Ersatzfahrzeugs unternimmt. Die Fahrtkosten werden im Regelfall mit 0,3 Euro pro Kilometer angesetzt, für die aufgewendete Zeit gibt es jedoch keine Entschädigung.
Ansprüche nach Tötung eines Menschen
Wird ein Mensch bei einem Unfall schwer verletzt und stirbt einige Zeit später an den Folgen, kann er selbst noch einen Schmerzensgeldanspruch erworben haben. Dieser Anspruch hängt davon ab, ob der Verletzte noch Empfindungen hatte, also Schmerzen spüren konnte, was bei Bewusstlosen regelmäßig nicht der Fall ist. Der eigene Schmerzensgeldanspruch des Getöteten ist vererbbar, geht also mit dessen Tod auf die Erben über. Aber auch die Angehörigen können unter bestimmten Voraussetzungen eigene Ansprüche haben.
Der Unterhaltsschaden
Wurde beim Unfall ein Mensch getötet, haben seine Hinterbliebenen Anspruch auf Ersatz eines Unterhaltsschadens, wenn der Verstorbene ihnen gegenüber gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet war (§ 844 II BGB). Anspruchsberechtigt sind demnach Kinder, sowohl eheliche als auch nicht eheliche, sowie Ehegatten während der Ehe und gegebenenfalls auch nach der rechtskräftigen Scheidung. Auch die Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft können einen Unterhaltsschaden geltend machen, nicht jedoch Verlobte, da während des Verlöbnisses noch keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht.
War der Getötete verpflichtet, Barunterhalt zu leisten, bemisst sich die Höhe nach dessen fiktiven Einkünften, von denen wiederum bestimmte Posten abgezogen werden, die der Getötete zum Beispiel für seine Haushaltsführung und Vermögensbildung aufgewendet hätte. War die getötete Person tatsächlich nur zur Leistung von Naturalunterhalt verpflichtet (Berufshausfrau oder -hausmann), kann der Anspruch nur die Haushaltsführungskosten umfassen.
Beispiel:
• Die Mutter von zwei Kindern wurde bei einem Verkehrsunfall getötet. Die 14-jährige Tochter war Schülerin und lebte im elterlichen Haushalt. Der Sohn war bereits volljährig und studierte. Die Tochter klagte auf Ersatz für Barunterhalt und Haushaltsführung. Das OLG Oldenburg (Urteil vom 14.08.2009 zu Az.: 6 U 118/09) wies die Klage hinsichtlich des Barunterhalts ab und verurteilte den Schädiger, bis zum 18. Geburtstag der Klägerin eine Geldrente in Höhe der entgangenen Haushaltsführung zu zahlen. Die Mutter hatte nach einer internen Vereinbarung zwischen den Eltern ausschließlich die Hausarbeit übernommen, während der Vater allein die Arbeit im landwirtschaftlichen Betrieb verrichtet hatte. Das Gericht ging davon aus, dass die Mutter, auch wenn sie überlebt hätte, weiterhin keinen Barunterhalt geleistet hätte. Zwar könnten Eltern heute abweichend von der klassischen Hausfrauenehe ihre Unterhaltsleistungen nach Belieben aufteilen, wenn sie aber eine solche Vereinbarung getroffen hätten, richte sich danach der Anspruch der unterhaltsberechtigten Kinder.
Der Schockschaden
Wenn einem nahen Angehörigen schweres seelisches Leid widerfährt, weil er zum Beispiel die Tötung eines geliebten Menschen mit ansehen musste, kommt ein Anspruch auf Ersatz eines sogenannten Schockschadens in Betracht. Dieser Anspruch setzt voraus, dass der Angehörige selbst eine gesundheitliche Beeinträchtigung erlitten hat, etwa in Form einer Depression oder Neurose. Die übliche Trauer über den Verlust eines Menschen reicht noch nicht aus. Außerdem muss die Reaktion für einen objektiven Beobachter nachvollziehbar sein. Subjektive Faktoren, wie die erhöhte Sensibilität einer Person, sollen nicht berücksichtigt werden.
Das Hinterbliebenengeld
Das Hinterbliebenengeld steht denjenigen Angehörigen zu, die nach der Vermutung des Gesetzgebers in einem besonderen Näheverhältnis stehen, und zwar Kinder, Ehe- und Lebenspartner sowie Eltern. Deutsche Gerichte sprechen zumeist Beträge zwischen 5.000 und 25.000 Euro zu.
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