Ein hohes Lebensalter ist für sich genommen nicht ausreichend, um von der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs abzusehen.
WKR-Erklärung:
Der 96-Jährige Oskar Gröning muss seine Haftstrafe antreten. Gröning war 2015 im Rahmen des Lüneburger Auschwitzprozesses vom Landgericht Lüneburg zu einem Freiheitsentzug von vier Jahren verurteilt worden. Angeklagt wurde Gröning der Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen. Der ehemalige SS-Mann hatte 1942 im Konzentrationslager Auschwitz die Verwaltung des Geldes und der Wertgegenstände im Lager Ermordeter übernommen. Der Hauptvorwurf der Staatsanwaltschaft lautete konkret: Gröning habe durch seine Tätigkeit, Wertgegenstände von Häftlingen an die SS weitergeleitet, diese somit finanziell unterstützt und einen „zumindest untergeordneten Beitrag“ zum organisierten Massenmord geleistet.
Gröning beantragte Haftverschonung, führte gesundheitliche Probleme und das hohe Lebensalter als Gründe an. Nachdem das Oberlandesgericht Celle die Haftverschonung abgelehnt hatte, reichte er Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Diese hatte keinen Erfolg.
Die Karlsruher Richter hatten am Ergebnis der Abwägung des OLG Celle zwischen staatlichem Strafdurchsetzungsanspruch und dem Grundrecht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz nichts auszusetzen. Dabei bestätigten sie, dass das hohe Lebensalter Grönings für sich genommen nicht ausreichend sei, um von der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs abzusehen.
Erschwerend komme vielmehr die rechtskräftige Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen hinzu. Zwar müsse auch ein 96-Jähriger grundsätzlich die realisierbare Chance haben, die Freiheit wiederzuerlangen, das sei aber nach den Ausführungen der Sachverständigen zum Gesundheitszustand und mit Blick auf eine mögliche teilweise Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung auch möglich.
Gesundheitlichen Beeinträchtigungen könne durch entsprechende medizinische Vorkehrungen Rechnung getragen werden, so die Verfassungsrichter. Sollte sich Grönings Gesundheitszustand im Laufe des Vollzugs dennoch erheblich verschlechtern, könne der Vollzug nach § 455 Abs. 4 Strafprozessordnung unterbrochen werden. Gleiches gelte im Übrigen auch für etwaige psychische Beeinträchtigungen. Auch wenn die Umstände im Strafvollzug anders seien als das soziale Netz Grönings, sei die Einschätzung des Oberlandesgerichts Celle nicht zu beanstanden. (BVerfG / Az. 2 BvR 2772/17)
Quelle: www.lto.de